Datum
21.01.2021
Ort
Neustadt
Feldkirch
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Kategorie
Projekt
Schlagworte
Der weltberühmte Literat James Joyce im Comic-Style? Christian Futscher, der bekannte Feldkircher Autor, macht das ohne Umschweife möglich. Für das gemeinsame Projekt #feldkirchenjoyce der Stadt Feldkirch, der Literatur Vorarlberg und literatur:vorarlberg netzwerk entwirft er eine literarische Installation zu Joyces Kurzgeschichte ‚Eveline‘, die mit Elementen des Comic arbeitet und ab heute in der James Joyce Passage der Montfortstadt zu sehen ist.


Die Erstarrung im Aufbruch
In seinem Kurzgeschichten-Zyklus ‚Dubliners‘ schafft James Joyce mit Eveline eine junge Figur, die ihrem entbehrungsreichen Leben in Dublin entsagen und gemeinsam mit Frank, der sie heiraten will, mit dem Schiff nach Buenos Aires auswandern kann. Im Moment vor der Abreise lässt Eveline ihre Kindheit, die vertraute Umgebung ebenso wie die fatalen Bindungen an ihren gewalttätigen Vater, ihrer vom Wahnsinn befallenen Mutter Revue passieren und bleibt am Ende am Hafen zurück. Bilder für diese Lähmung im Aufbruch zu kreieren, war Ausgangsbasis für den Autor Christian Futscher, der neben wortwitziger wie berührender Lyrik, auch Kinderbücher und vor Kurzem seinen Roman ‚Mein Vater, der Vogel‘ veröffentlicht hat.

„In allen Erzählungen der Dubliners wird oft etwas ausgespart, bleiben Leerstellen, bleibt vieles im Dunkeln, steht kein Wort zu viel. Deshalb kam ich auf die Form des bilderlosen Comics, bei dem ebenfalls vieles offen bleibt,“ fasst Futscher seine Herangehensweise an die Installation zusammen. Betrachter und Betrachterinnen sind also eingeladen, die Lücken mit Eigenem zu füllen. „Vielleicht“, so der Autor weiter, „werden einige die Aufforderung „Komm!“ auf dem Weg zum Bahnhof wörtlich nehmen, und angesichts des Textes „Nein! Nein! Nein! Es war unmöglich“ vielleicht ins Grübeln kommen, eventuell auch was ihre Fahrziele anbelangt. Eveline in der Geschichte fährt nicht ab, sie begleitet ihren Freund Frank nicht auf das Schiff nach Buenos Aires, im letzten Moment bekommt sie kalte Füße, verfällt in eine Erstarrung, in der nichts mehr geht, sie bleibt in Dublin zurück. Das Meer wird fortan zwischen ihr und Frank wogen …“ Dieses Meer ist jetzt auch in der Passage hörbar!

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Christian Futscher
„Projektbeschreibung/Überlegung zu der Arbeit in der Passage“:
– Komm!
Nein! Nein! Nein! Es war unmöglich.
(Rohfassung, Doppelmoppel, Ausuferung)

Die „Joyce-Passage“ führt von der Innenstadt zum Bahnhof, von dort geht es in die große weite Welt. Stock und Hut steht ihm gut. James Joyce war 1915, also vor 105 Jahren zum ersten Mal am Bahnhof in Feldkirch, auf seinem Weg von Triest nach Zürich. Viele Jahre später hat er in Erinnerung daran einen Satz geschrieben, der in Feldkirch allgemein bekannt ist, weil er groß an einer Wand der Bahnhofshalle steht: „Over there, on those tracks“ usw. Ich bringe alles unter einen Hut, so wird ein Schuh draus, das Gehen ist des Menschen Lust. „Zu enge Schuhe? Nein. Sie hinkt. Ach!“ – Aus dem Ulysses, übersetzt von Hans Wollschläger. 

Im Hotel Löwen, das sich quasi über der Passage befindet, wohnte James Joyce 1932 ein paar Wochen lang. Er arbeitete an seinem Buch Finnegans Wake, einem der am schwersten zu verstehenden Werke der Weltliteratur. Bravo! Joyce hat es seinen Leserinnen und Lesern nicht leicht gemacht. Wo kämen wir da hin. War es in Feldkirch, dass er ein Wort geschrieben hat, das aus genau 100 Buchstaben besteht (wenn ich mich nicht verzählt habe)? Das Wort ist aus den Wörtern für „Donner“ in zehn verschiedenen Sprachen zusammengesetzt. Donnerwetter, die Vorstellung beflügelt mich, dass sich Joyce in Feldkirch mit so was beschäftigt hat. Er konnte aber auch ganz anders. War es womöglich vielleicht ebenfalls hier, dass er den Satz geschrieben hat, den Edna O’Brien in ihrem Buch James Joyce zitiert: „Die interessantesten Orte in jeder Stadt sind die Kneipen und Bordelle.“? – Ich weiß es nicht. Neugier und Spielfreude sind wichtig, wenn man sich mit James Joyce beschäftigt. Auch Langeweile muss man ertragen können. Bei vielem, das er geschrieben hat, verstehe ich nur Bahnhof. Und somit bin ich wieder bei der Joyce-Passage.

Mein Thema ist die Erzählung „Eveline“ aus dem Buch Dubliner – meine Arbeit in der Passage soll damit zu tun haben. Eveline, die Protagonistin, schafft es nicht, mit ihrem Freund Frank wegzugehen … In allen Erzählungen der Dubliner wird oft etwas ausgespart, bleiben Leerstellen, steht einiges zwischen den Zeilen, wird einem nichts auf die Nase gebunden, bleibt vieles im Dunkeln, steht kein Wort zu viel – im Gegensatz zu meiner Aufzählung hier. „Wer liest uns den Schmeh? / Ich, sprach die Kräh.“ – Wieder Hans Wollschläger in seiner hochgelobten Übersetzung bzw. Übertragung des Ulysses. Wie lautet es im Original? Beizeiten nachschauen. Wollschläger: Schmeh. Ich: Schmäh. Krähe: Ich. Ich: Auch! Um auf die Erzählung „Eveline“ zurückzukommen: Eveline wird von ihrem Frank Evvy genannt, meine Frau, Evemarie, wird von mir Evi genannt. Soll ich sie in Zukunft Evvy nennen? Nein! Nein! Nein! Denn sie hat den Sprung gewagt, ist mit mir nach Wien gegangen und hat Vater und Geschwister zurückgelassen. Ich bin eben ein Christian, kein Frank, aber das nur am Rande. Komm! Ja! Ja! Ja! Es ist möglich. Das wäre doch gelacht. „Hahaha. Haha. Ha.“ – Samuel Beckett, auch so ein Ire. Als ich meinem Freund Wolferl von meiner „Joyce-Sache“ erzählte, meinte er in etwa: „Bevor ich Joyce lese, lerne ich lieber den ganzen Beckett auswendig.“ Und mein Freund Peter, der in Salzburg lebt, auf Joyce angesprochen, meinte wörtlich: „James Joyce war in Feldkirch und Triest. Viel mehr kann man über ihn nicht sagen. Mich interessieren Schriftsteller nicht, die nie in Salzburg gelebt haben.“ Auch so zwei Österreicher. Joyce hatte und hat nicht nur Freunde und Anhänger, eh klar.

Was meine Gestaltung des dreiteiligen Fensters anbelangt, kam ich auf die Form des bilderlosen Comics, bei dem vieles im Dunkeln bleibt. Abgesehen von dem sehr einfachen, fast kindlichen Bild im Mittelteil (stilisiertes Meer, darüber ein Strich-Vogerl), befinden sich auf den zwei Scheiben daneben nur leere Flächen mit wenig Text. Die Bilder muss/kann man sich selber dazu denken. Die Vorstellungen gehen wahrscheinlich in viele verschiedene Richtungen, außer man kennt die Erzählung „Eveline“, zweifellos eine Meistererzählung von Joyce, allerdings noch recht konventionell erzählt. Wo über Joyce geredet wird, sind Superlative nicht weit. Der Literaturkritiker Ijoma Mangold z.B. schreibt in seinem Nachwort zu einer der zahlreichen Ausgaben der Dubliner: „Die Dubliner schließen mit einer langen Erzählung, die vielleicht die vollkommenste der Weltliteratur überhaupt ist. […] Dass Joyce hier auch letzte Fragen streift, darauf deutet schon der Titel hin: Die Toten.“ – Immer gut, wenn auch letzte Fragen gestreift werden, und was Herrn Mangolds Selbstvertrauen und die Übersicht über die Weltliteratur anbelangt: Hut ab! Hochgestochene Superlative werden oft bemüht im Zusammenhang mit Joyce, ich habe mich für einen banalen Comic entschieden, bei dem allerdings vieles ausgespart bleibt, um mich schon wieder zu wiederholen.

Ich mache das Einfache. Ich konzentriere mich auf den Comic, bei dem vieles im Dunkeln bleibt, und zwar buchstäblich sozusagen, wie gesagt: kein Wort zu viel. Auf der linken Fläche ist nur zu lesen: „Komm!“ (Sprechblase), auf der rechten: „Nein! Nein! Nein! Es war unmöglich.“ (Erzählkasten). – Die Textzitate sind aus „Eveline“, quasi aus der Schlüsselszene.

Die Aufforderung „Komm!“ auf dem Weg zum Bahnhof werden einige wörtlich nehmen, und angesichts des Textes „Nein! Nein! Nein! Es war unmöglich“ werden vielleicht manche ins Grübeln kommen, eventuell auch was ihre Fahrziele anbelangt: Warum X und nicht U? Warum von A nach B? Warum nicht von A bis Z? Eveline in der Geschichte fährt nicht ab, sie begleitet ihren Freund Frank nicht auf das Schiff nach Buenos Aires, wie ausgemacht, im letzten Moment bekommt sie kalte Füße, verfällt in Erstarrung, Paralyse, nichts geht mehr, sie bleibt in Dublin zurück – bei ihrem gewalttätigen Vater, unter der Fuchtel ihrer unguten Chefin, in den bedrückenden Verhältnissen. Das Meer wird fortan zwischen ihr und Frank wogen … „Meer und See begünstigen meinen Gedankenfluss“, schrieb ich als Jugendlicher, ungefähr in Evelines Alter, für mich war es möglich, Feldkirch zu verlassen, ich habe es getan, auch wenn ich heute immer wieder gern zurückkehre. Ich lebe seit langem in Wien, von Buenos Aires zwischendurch nach Dublin zurückzukehren wäre für Eveline nicht so leicht möglich gewesen. Wie gesagt, ich schrieb damals von einem Gedankenfluss, der „Stream of consciousness“, mit dem Joyce Furore gemacht hat, war mir noch fremd, obwohl ich der Gedankenstromprosa, die ich Drauflosschreiben nannte, bereits einiges abgewinnen konnte. (Den Ausdruck „Gedankenstromprosa“ hörte ich übrigens zum ersten Mal aus dem Mund von Franzobel. Das war vor einer Ewigkeit an einem Sommerabend beim Dorfbrunnen des kleinen Ortes Civitella d’Agliano, ca. 100 km nördlich von Rom. Franzobel hatte damals noch kein einziges Buch veröffentlicht, ich auch nicht.)

Kurz nachdem ich begonnen hatte, mich mit der „Joyce-Passage“ zu beschäftigen, schrieb ich Folgendes:

Ich schreibe groß an die Wand (an das Fenster):

– Komm!

Nein! Nein! Nein! Es war unmöglich.“

Darüber zeichne ich einen Vogel, fliegend in der Luft,

darunter zeichne ich eine Kirche, stehend auf dem Feld (Fieldchurch).

Der Vogel ist geblieben, von der Kirche auf dem Feld bin ich abgekommen (nicht nur deshalb, weil ich Kirchen nicht gut zeichnen kann) – das Meer ist mehr dazu angetan, Sehnsucht zu wecken nach Aufbruch, Reisen, Abenteuern, Entdeckungen … Beim Anblick des Meeres läuft vielen das Wasser im Mund zusammen. „Hört! Hört!“ – Joyce, Ulysses. 

Genaue Beschreibung des in drei Flächen unterteilten Fensters:

Die zwei Flächen links und rechts außen (1 und 3) sind grau (oder schwarz?) abgedeckt (bemalt? beklebt?), die mittlere Fläche (2) bleibt original Glas. Im linken Teil (1) oben ca. in der Mitte ist nach links unten spitz zulaufend eine weiße Sprechblase mit dem Text: „Komm!“, im rechten Teil (3) ist unten an den rechten Rand gerückt ein „Erzählkasten“ (rechteckige weiße Fläche, also keine Sprechblase) mit dem Text: „Nein! Nein! Nein! / Es war unmöglich.“ – Beides ist wörtlich aus der Erzählung „Eveline“, Schlüsselszene quasi, wie bereits erwähnt. Zwischen den beiden Teilen (1 und 3) zeigt der Mittelteil (2) ein Bild wie auch schon oben beschrieben: ein einfaches, fast kindliches Bild von einem stilisierten Meer, darüber ein Strich-Vogerl – ob Meer und Vogel besser mit einem schwarzen oder einem weißen Stift auf das Glas gezeichnet werden, muss erst noch entschieden werden. Jedenfalls soll es die einzige noch durchsichtige Fläche des Fensters sein. Wie das Ganze von der anderen Seite, also von außen, aussieht? – Meer und Vogel sieht man wahrscheinlich, das weckt vielleicht Neugier auf das andere.  

Eveline schafft es nicht, Frank aufs Schiff in die Fremde zu folgen. Das Meer schiebt sich zwischen Frank (Komm!) und Eveline (Nein! Nein! Nein!), der Vogel steht für Freiheit, Aufbruch, Aufschwung, Übersicht, Gegenteil von Paralyse …

Zu dem Text fällt wohl jedem und jeder etwas ein, er erscheint mir in höchstem Maße anregend, stimulierend, irritierend, irisierend … 

Wer ist noch nie vor einer Entscheidung gestanden, vor der er zurückschreckte? 

Wer hat sich noch nie zu etwas überwunden, das anfangs unmöglich schien?

Wer hat noch nie etwas nicht getan, das er besser getan hätte?

Es folgen 102 weitere Fragen: […]

Schlussbemerkung dazu: Ich würde mir wünschen, „der niederschwellige Comic“ macht neugierig auf „Eveline“, auf die Dubliner, auf James Joyce.

Auf jeden Fall ist „die Sache“ vieldeutig, und Vieldeutigkeit ist – „Hört! Hört!“, Joyce – ein Kennzeichen von Kunst.      

Bespielung der Fläche außen auf der Hausfassade (wo jetzt noch Günter Vallasters Türe prangt):

Die gesamte Fläche in derselben Farbe wie Fläche 1 und 3 des Fensters (also grau oder schwarz), darin zwei weiße Sprechblasen. In der oberen: „James Joyce hat hier gewohnt.“, in der unteren: „Voll geil!“ [Oder ein anderer Ausruf – ich werde die Jugendlichen im Workshop fragen.] – Alter weiser Mann versus Jugendsprech, der übergroße, weltberühmte Künstler etwas heruntergeholt vom weit entfernten Olymp auf den Boden der Feldkircher Realität… 

Der „Schaukasten“ ist leider weggefallen, wie ich erst vor kurzem erfahren habe. Dazu hätte ich die meisten Ideen gehabt.

Nicht uninteressant („Nur Lumpen sind bescheiden“, Goethe) wären noch meine Überlegungen und Skizzen, die ich verworfen habe. Darüber vielleicht ein andermal. z.B. in einem Text für die V#37 zu James Joyce, die 2022 erscheinen wird, anlässlich von 100 Jahre Ulysses).

Skizzen hänge ich dran.

PS: Gerade kam die Idee auf, zu den Bildern auch Geräusche beizusteuern, falls das möglich sein sollte: Hafengeräusche, Möwengeschrei (Lachmöwen?) … Ich schicke zwei mögliche Geräusche mit.    


Das Projekt #feldkirchenjoyce verwandelt die modernisierte James-Joyce-Passage, die als Unterführung den Feldkircher Bahnhof mit der Altstadt verbindet und sich zu einem beliebten Durchgang entwickelt hat, zur Erzählfläche. Neben Günter Vallaster, der die Passage in den vergangenen vier Monaten bespielte, und Christian Futscher, wird ab Mitte Mai die junge Vorarlberger Autorin Sarah Rinderer Joyce aus ihrem Blickwinkel als Sprachkünstler erzählen.

Autor_innen

Autor | Günter Vallaster (September – Dezember 2020)
Günter Vallaster, 1968 in Schruns geboren, lebt in Wien. Autor, Herausgeber der edition ch (seit 2004), Sprachkursleiter, Literaturveranstalter- und Kurator sowie Mitarbeiter in sprach- und literaturwissenschaftlichen Projekten.

Autor | Christian Futscher (Januar – April 2021)
Christian Futscher, geboren 1960 in Feldkirch, studierte Germanistik und Romanistik in Salzburg, wohnt seit 1986 in Wien. Div. Jobs, u.a. als Pächter eines Stadtheurigen. Zahlreiche Publikationen und Übersetzungen, Zusammenarbeiten mit div. Schulen. Ausgezeichnet mit verschiedenen Preise, Stipendien und Aufenthaltsstipendien.

Autorin | Sarah Rinderer (Mai bis August 2021)
Sarah Rinderer, 1994 in Bregenz geboren, studierte Bildende Kunst – Experimentelle Gestaltung an der Kunstuniversität Linz . Mehrere literarische Veröffentlichungen und experimentelle Gestaltungen. 2015 das Start-Stipendium für Literatur des Bundeskanzleramtes; 2017 ausgezeichnet mit dem Vorarlberger Literaturpreis.

Partner_innen

#feldkirchenjoyce ist ein gemeinsames Projekt der Stadt Feldkirch, der Literatur Vorarlberg und literatur:vorarlberg netzwerk.

Mit freundlicher Unterstützung des Landes Vorarlberg

Übrigens…

… detaillierte Informationen zu Joyce’s Aufenthalt in Feldkirch sowie zu zahlreichen weiteren Literat_innen, welche die historische Vergangenheit der Stadt prägten, bietet Philipp Schöbi in der Publikation Das literarische Feldkirch an, die 2018 im Hohenemser Bucher Verlag erschienen ist.