Daniela Egger: Stille, jetzt auch draußen
Stille, jetzt auch draußen
Daniela Egger
Die Stille hat sich ausgebreitet, auf die Straße vor dem Haus, die übliche Geräuschkulisse, die bisher ein bisschen Welt hereingetragen hat, ist weitgehend verstummt. Ich liebe Stille, aber diese jetzt ist eigenartig. Kein Verkehr, keine Stimmen, die kleinen Motorflugzeuge sind verstummt, aber Hubschrauber kreisen fast täglich über der Stadt. Nur selten ein fahrendes Auto. Besuche bleiben aus, obwohl die erst kürzlich mit einer gewissen Regelmäßigkeit alles aufgewirbelt haben. Und jetzt auf einmal nichts.
Dass keine Flugzeuge den Himmel queren, lässt mich Vermutungen anstellen über das Ausmaß des Stillstands. Die Ruhe liegt nicht nur über der kleinen Stadt vor meiner Haustüre, offensichtlich nimmt sie größere Gebiete ein, wahrscheinlich ganze Länder. Das wäre allerdings ungeheuerlich.
Sie tragen Gesichtsmasken, wenn sie ein Haus betreten. Zum Glück bleibe ich von Nachrichten verschont, es gibt kein Radiogerät mehr und keine Stimmen, die aus dem Lautsprecher den Raum zerschneiden. Damals, das waren Stimmen, die Ärger und Sorgen mit sich brachten, zunächst. Später war es Angst.
Das meiste blieb hier, als würden sie wiederkommen, aber es dauerte und sie kamen nicht wieder. Die Zeit des Efeuschattens begann.
Ich lebe in einer anderen Zeit, das Tagesgeschehen berührt mich nicht, und mein Interesse an den Angelegenheiten der Menschen war nie besonders groß. Jetzt ist es gänzlich erlahmt. Natürlich, da war irgendwann eine andere Familie, wir nannten sie „die Gäste“. Sie gehörten nicht zur Familie, auch nicht entfernt, deshalb: die Gäste. Als sie ankamen, gingen täglich Leute ein und aus, viele kamen mit Schmerzen. Manche gingen mit Schmerzen von hier weg, auch mit unsichtbaren, solche, die nicht heilen. Solche, über die nicht zu sprechen als vereinbart gilt. Damals jedenfalls sprach man nicht, über die Menschen heute weiß ich nicht genug. Vielleicht haben sie das Reden inzwischen wieder gelernt.
Der Schmerz gehört dazu, auch für mich. Man darf ihn nicht überbewerten. Was immer jetzt der Grund für das Tragen von Masken ist, deutet auf Krankheit, Angst und Tod. Dass seit einigen Tagen wieder mehr Menschen auf den Straßen zu sehen sind, versichert mir, dass sie nicht für immer verschwinden werden. Ich möchte nicht wieder erleben, was einige der Pflanzen mit dem Mauerwerk anstellen, welche Sprengkraft eine winzige Wurzel entfaltet, sobald sie eine Mauerritze findet. Menschen müssen dafür sorgen, dass die Natur in ihre Schranken gewiesen wird, nicht alle Pflanzen sind freundlich, auch wenn mich eine gewisse Verbundenheit mit der Kastanie im Garten eint. Nach all den Jahren.
Es wird allmählich leichter, weniger bleiern. Das ewig trockene Wetter lässt die Dielenbretter und Balken spröde werden. In der Nacht knacken sie laut, aber das stört niemanden mehr. Noch immer hat niemand einen Grund gefunden, im Haus für Unruhe zu sorgen, obwohl der Garten inzwischen mitten im Frühling steht. Die Menschen, sie verbreiten zuerst Hektik, schieben Möbel und Teppiche und tausend Gegenstände herum, tragen alles aus dem Haus, vermessen Räume, leuchten in jeden Winkel, Fotografen, Mikrofone, Kameras, verwirrend viele Leute im Park und auch im Haus. Und dann – nichts.
Es wird geredet, die Leute bleiben stehen und reden, auch der Verkehr verdichtet sich, aber kein Vergleich zu früher. Ich sehe es den Gesichtern an, dass sie zu vergessen beginnen, die Masken verbergen nicht viel. Auch das kenne ich bereits, die Gesichter, die vergessen wollen.
Es wird Zeit, den Garten zu bestellen. Die Fenster brauchen eine Reinigung, mehr Licht ist nötig. Ich muss gestehen, dass ich in Aufbruchsstimmung bin, ich habe mich mitreißen lassen, über Pläne gebeugte Köpfe, unbedachte Äußerungen, Gespräche, deren Fragmente noch jetzt über dem längst verstaubten Modell nachhallen. Da steht es jetzt im Esszimmer, eine Zukunftsform in Gips, ein großes Ding, sofern man es mit Leben füllt.
Was diesen Stillstand und den dazugehörenden Staub hervorgerufen hat, muss noch ein Stück größer sein. Sogar der Himmel gehört noch immer nur sich selbst.