Seek&Read: Samuels Buch – Kapitel 8
Eine Spukgeschichte für Fortgeschrittene. Nichts für schwache Nerven.
geschrieben von Irmgard Kramer. Illustration: Marek Bláha.
HINWEIS: ALTERSEMPFEHLUNG dieser Geschichte liegt bei 12 Jahren!
Herzlich willkommen bei Seek&Read – einer literarischen Schnitzeljagd durch Hohenems.
Schön, dass du uns gefunden hast. Du befindest dich auf einem kleinen Abenteuer, denn dieser Weg führt dich nicht nur durch eine schöne Landschaft, sondern auch durch eine spannende, an manchen Stellen vielleicht sogar gruselige Geschichte, geschrieben von Irmgard Kramer.
Du wirst auf diesem Weg insgesamt zehn QR-Codes finden, schau genau, denn manche sind versteckt. Solltest du zufällig über einen QR-Code gestolpert sein und du befindest dich inmitten der Geschichte, ist das kein Problem, denn hier beginnt das Abenteuer mit der Einführung und führt dich von der Villa Franziska und Iwan Rosenthal weiter in die Hohenemser Natur.
Viel Spaß bei Seek&Read,
Dein Literaturhaus Vorarlberg
Und jetzt geht es weiter…
8. Die fünfte Bank, neu gestrichen, fast am Ziel, unter der Burg
Ob es die Traurigkeit des Jungen war oder die Gelassenheit von Fée, die uns ansteckte, oder ob wir nur müde wurden, weiß ich nicht, aber wir hörten auf zu blödeln. Fée war so voller Vertrauen. Sie fand in allem etwas Schönes. So langsam wagten wir es, uns von der Nacht und der Stille berühren zu lassen. Der Wald, durch den wir bei Tag schon so oft gegangen waren, war mir noch nie so lebendig vorgekommen. Die Buchen hatten Augen, die uns hinterherblickten. Moos bewachsene Baumstümpfe sahen aus wie bullige Zwerge, die sich aufrichteten und sich reckten. Ich hörte auf, mich dagegen zu wehren. Und staunte mit Fée. Ein breitschultriger Mann ging an uns vorbei. Unter Wurzelwerk kroch ein Wesen in einem dünnen Nachthemd hervor. Das Haar war nicht von den spinnenartigen Wurzeln zu unterscheiden. Durchsichtig tänzelte es um uns herum und schwebte in Richtung Burgruine. Aus einer Felsspalte stieg eine lange Frau mit silbergrauem Haar und einem bodenlangen Mantel. Der Wald war voller Gestalten, die zur Burg strömten. Und wir waren mitten unter ihnen.
„Ist das nicht fantastisch?“, rief Fée.
Als wir aus dem Wald traten, spannte sich der Himmel über uns auf, wie schwarzer Samt, auf dem eine Million Diamantsplitter ausgeleert worden waren. Nie hatten wir einen wundervolleren Nachthimmel gesehen. Samuel saß auf der neu gestrichenen Bank. Das Buch hielt er immer noch fest. Neugierig beobachtete er, wie wir unsere Schlafsäcke ausrollten und uns eng aneinanderlegten, so, dass wir die Schultern der anderen spürten.
„Dort, der große Bär.“ Fée zeigte auf ein Sternbild. „Der Helle ist der Nordstern.“ Fée kannte sich mit Sternen mindestens so gut aus wie mit Wolken. Ich bin mir sicher, dass die Sterne überall dorthin wollten, wo Fée war.
„Willst du dich nicht zu uns legen?“, fragte sie Samuel.
„Nein. Um Mitternacht werde ich auf der Ruine erwartet. Wir sehen uns, wenn die Sonne aufgeht.“
Das hätte er nicht sagen sollen.
Natürlich brachten wir kein Auge zu. Aus allen Richtungen strömten Gruselfiguren, Spukgestalten und Gespenster auf die Burgruine zu. Flüchtige Gestalten. Fantasien, Vorstellungen, Träume und Albträume. Ich weiß nicht, was es war, das diese zwielichtige Neumondnacht hervorbrachte. Das Gespenst eines Ritters fleuchte um die Ecke. Eine Mumie, die ihre Verbände hinter sich her schleifte, hinkte keuchend an uns vorbei. Ein Werwolf folgte ihr geduckt.
Dann kam niemand mehr.
Mitternacht.
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