Datum
24.06.2005
Kategorie
Projekt, Seek&Read, Uncategorized

Eine Spukgeschichte für Fortgeschrittene. Nichts für schwache Nerven.

geschrieben von Irmgard Kramer. Illustration: Marek Bláha.

HINWEIS: ALTERSEMPFEHLUNG dieser Geschichte liegt bei 12 Jahren!

Herzlich willkommen bei Seek&Read – einer literarischen Schnitzeljagd durch Hohenems.
Schön, dass du uns gefunden hast. Du befindest dich auf einem kleinen Abenteuer, denn dieser Weg führt dich nicht nur durch eine schöne Landschaft, sondern auch durch eine spannende, an manchen Stellen vielleicht sogar gruselige Geschichte, geschrieben von Irmgard Kramer.
Du wirst auf diesem Weg insgesamt zehn QR-Codes finden, schau genau, denn manche sind versteckt. Solltest du zufällig über einen QR-Code gestolpert sein und du befindest dich inmitten der Geschichte, ist das kein Problem, denn hier beginnt das Abenteuer mit der Einführung und führt dich von der Villa Franziska und Iwan Rosenthal weiter in die Hohenemser Natur.

Viel Spaß bei Seek&Read,

Dein Literaturhaus Vorarlberg

Und jetzt geht es weiter…

10. Am Schlossplatz 

Am Schlossplatz trafen wir Pips Uroma.   

„Mist“, murmelte Pip.  

„Dass ich dich wieder einmal sehe“, sagte sie und tätschelte sein Gesicht. „Wo kommst du denn her, mein Lieber?“   

„Von der Ruine.“ Pip war offenbar zu müde, um sich eine Ausrede einfallen zu lassen.  

„Mitten in der Nacht?“ Die Augen von Pips Uroma wurden groß. 

„Wir haben den Geistern beim Tanzen zugesehen“, sagte Fée und strahlte sie an. Pips Uroma begann zu grinsen. „Ach, so nennt man das heutzutage.“ Sie zwinkerte Pip zu.  

„Du verrätst uns doch nicht?“, fragte er.  

„Wo denkst du hin. Ich war auch einmal zum ersten Mal verliebt. Ist allerdings schon eine Weile her.“ 

Sie begleitete uns auf dem Weg zurück in die Villa Franziska und Iwan Rosenthal. „Sag mal, Uri, weißt du noch, wer hier gewohnt hat, als du noch klein warst?“, fragte Pip. 

„Die Villa stand immer wieder leer“, sagte sie, „obwohl … in meiner Kindheit erzählte man sich, dass es dort drinnen spukte. Hin und wieder sah man ein Licht, das von Fenster zu Fenster gewandert ist. Manche Leute verbreiteten das Gerücht, dass sich darin ein kleiner elternloser Ausreißer versteckt habe. Ich habe ihn nie gesehen. Geschichten. Nichts als Geschichten. Die Menschen lieben Geschichten, je dramatischer, umso besser.“ Ihren Blick starr vor sich auf den Asphalt gerichtet, tappte sie einfach weiter und schien uns vergessen zu haben.  

Am Ende der großen Ferien verließ uns Fée. Ihre Eltern hatten einen Job angenommen in einem Land, von dem ich noch nie zuvor gehört hatte, irgendwas mit A – Kamtschatka, Samarkand oder Alabama. Fée hatte ihren Abschied nicht angekündigt. Es war Samuels Buch, das sie auf mein Bett gelegt hatte. Auf der ersten Seite stand: „Wenn ihr das lest, bin ich schon weg. Ich hasse Verabschiedungen. Macht´s gut. Ich werde den besten Sommer meines Lebens nie vergessen. Grüßt mir die Wolken. Eure Fée. P.s: Ich habe noch ein Kapitel mit unserer Geschichte hinzugefügt. Erschreckt also nicht, falls ihr in der nächsten Neumondnacht auf dem Weg zur Burg euch selbst oder meinem Geist begegnet.“   

Pip, Jacke und ich wagten es nicht, das verfluchte Buch noch einmal aufzuschlagen. Wir trauten uns auch nicht, Fées Geschichte zu lesen. Keiner wollte das Buch behalten. Mit Herzklopfen brachten wir es zurück in die Villa und fanden ein Versteck, von dem wir hofften, dass es niemals gefunden werden würde.  

Vielleicht steht es noch dort.  

Irgendwo.